Anregungsfragen zum Essay

Anregungsfragen zum Essay im Rahmen der Kreitivwerkstatt:
30 Jahre deutsche Wiedervereinigung und ukrainische Revolution auf Granit

Ein Essay bedeutet eine Abhandlung, die eine literarische oder wissenschaftliche Frage in knapper und anspruchsvoller Form behandelt (Duden.de). Wichtig in einem Essay ist eine persönliche Einstellung des Autor bzw. der Autorin zu der behandenlnden Frage.

Die essayistische Methode ist eine experimentelle Art, sich dem Gegenstand der Überlegungen zu nähern und ihn aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten. Das Wichtigste ist jedoch nicht der Gegenstand der Überlegungen, sondern das Entwickeln der Gedanken vor den Augen des Lesers.

In Wikipedia können wir lesen: Viele Essays zeichnen sich aus durch eine gewisse Leichtigkeit, stilistische Ausgefeiltheit, Verständlichkeit und Humor. Jeder neue Begriff wird eingeführt und vorgestellt. Handlungen werden chronologisch erzählt und Zitate deutlich gekennzeichnet; meist ist er aber befreit von vielen Zitaten, Fußnoten und Randbemerkungen. Zuweilen ist es auch schlicht eine stilisierte, ästhetisierte Plauderei.

Während der Autor einer wissenschaftlichen Analyse danach strebt, sein Thema systematisch und umfassend darzustellen, wird ein Essay eher dialektisch verfasst: mit Strenge in der Methodik, nicht aber in der Systematik. Essays sind Denkversuche, Deutungen – unbefangen, oft zufällig scheinend. Damit ein Essay überzeugen kann, sollte er im Gedanken scharf, in der Form klar und im Stil „geschmeidig“ sein.

Wenn man ein Essay zum historischen Thema schreibt, stützt man auf verschiedene Materialien wissenschaftlicher und literarischer Art, aber auch auf die Erinnerungen der Zeitzeugen der historischen Ereignisse. Laut Jan und Alleida Assmann gibt es kommunikative Erinnerungskultur, die nur befristet existiert und durch eigene Geschichten von einzelnen Menschen zum Vorschein kommt. Äußerst wichtig ist, die Aussagen von den älteren Familienmitgliedern zur deutschen Wiedervereinigung und der ukrainischen Revolution auf Granit zu sammeln.

Aber unser Hauptaugenwinkel gilt der Wahrnehmung der historischen Ereignisse von der gegenwärtigen jungen Generation. D. h. gerade Ihre eigene Rezeption kommt in den Vordergrund. Gemäß der phänomenplogischen Theorie spielen Ihre eigenen Kenntnisse und Vorstellungen die entscheidende Rolle bei der Beschreibung der Phänomene der Wandlungsprozesse in Zentral- und Osteuropa, die vor 30 Jahren stattgefunden haben, aber in Ihrer Rezeption aktualisiert werden. Ohne Ihr Interesse, ohne Ihre Essays bleiben diese Phänomene verstaubt und verschwinden aus dem Leben der Gesellschaft.

Deswegen konzentireren Sie sich bitte vor allem auf Ihren Empfindungen bei dem Vefassen der Texte. Hier gibt es keine richtigen oder falschen Gedanken, sondern die Gedanken, die für Sie persönlich relevant sind oder eben nicht.

Eine Übung zur Überwindung der Hemmungen beim Anfang der Arbeit am Essay wäre folgende: Sie nehmen einige leere Blätter Pappier, setzen sich in einem Raum, wo Sie nicht gestört werden können, und schreiben pausenlos 15 Minuten lang alles, was Ihnen einfällt. Sie notieren alle Gedanken, die Ihnen zum gewählten Thema einfallen, ohne zu selektieren.

Hier haben wir eine Liste mit weiterführenden Fragen vorbereitet, die Ihnen auch helfen können, ein Essay zur deutschen Wiedervereinigung und der ukrainsichen Revolution auf Granit zu schreiben:

  1. Welche Assoziationen rufen bei Ihnen die Begriffe “Wiedervereinigung” und “Revolution auf Granit” hervor? Könnten Sie daraus, aus diesen Vokabeln bzw. Buchstaben etwas Neues basteln? 😉 Vielleicht ein Bild dazu malen?
  2. Was ist so alles in der Welt 1990 passiert? Notieren Sie bitte 5-7 Ereignisse, die Ihnen ein- bzw. auffallen, wenn Sie einfach mal googlen bzw. im Internet recherchieren und wenn Sie Gespräche mit Ihren älteren Verwandten oder Bekannten, Freunden, mit den Zeitzeugen sozsagen darüber führen.
  3. Haben Sie sich schon mal die Frage gestellt, ob Ihnen die Musik und die Mode von 1990 gefallen würde?
  4. Haben Sie in Ihrer Umgebung oder benutzen Sie Gegenstände, die 30 Jahre alt sind, oder gerade noch älter? Was sind das für Gegenstände? Welches Verhältnis haben Sie dazu? Welche Rolle können diese Gegenstände 1990 gespielt haben? Phantasieren Sie mal.
  5. Schreiben Sie einen oder zwei Sätze, über Ihr persönliches Verhältnis zum Jahr 1990 und zu der “Wiedervereinigung” und “Revolution auf Granit”. Z.B.: “Ich bin 1990 in die erste Klasse gegangen, habe gerne und viel gespielt, aber auch gelesen, war stolz ab Oktober eine Auszeichnung für brave sowjetische Schulkinder tragen zu dürfen und wusste gar nichts von den beiden Ereignissen”.

Oder “Ich weiß von 1990 gar nichts, nur dass meine Eltern damals geheiratet haben” 🙂

 Ein Beispiel für das Essay von Patrick Süskind, welches er in der Zeitschrift Spiegel im September 1990 veröffentlichte:

“Am Donnerstag, dem 9. November 1989, um 19.15 Uhr – war ich damals 40 und zweidrittel Jahre alt – hörte ich in Paris in den französichen Rundfunknachrichten die kurze Meldung, es habe die Ost-Berliner Regierung beschlossen, ab Mitternacht die Grenze  zur Bundesrepublik und zwischen Ost- und West-Berlin zu öffnen.

Sehr gut! dachte ich. Endlich tut sich was. Endlich bekommen diese Leute das elementare Recht auf Freizügigkeit. Endlich schwenkt auch die DDR auf den von Gorbatschow vorgezeichneten Weg der Reformen, der Demokratisierung und der Liberalisierung ein wie zuvor schon Ungarn und Polen…

( … )

Ich weiß nicht, war es vor oder nach Mitternacht, also noch der 9. oder schon der 10. November – jedenfalls schaltete ich das Radio an, diesmal den Deutschlandfunk, gerate in eine Direktreportage aus Berlin, … und höre ein Interview mit der Regierenden Bürgermeister Walter Momper, dessen Auslassungen in dem Satz gipfeln: “Heute Nacht ist das deutsche Volk das glücklichste Volk auf der Welt!”

Ich war wie vom Schlag getroffen. Ich glaubte mich verhört zu haben. … Hatte der Mann nicht mehr alle Tassen im Schrank? War er betrunken? War ich´s? Was meinte er mit “das deutsche Volk”? Die Bürger der Bundesrepublik oder die der DDR? Die West- oder die Ost-Berliner? Alle zusammen? Womöglich sogar uns Bayern? Am Ende gar mich selbst? Und wieso glücklich?”