Was wäre, wenn es die Revolution auf Granit nicht gegeben hätte?

Janica Becker

Niemand würde die Ursachen für den seit 2011 andauernden Krieg in Syrien in der Ukraine suchen und erst recht nicht die, weltweit relativ unbekannte, Revolution auf Granit damit in Verbindung bringen. Doch was wäre, wenn die Revolution auf Granit nie stattgefunden hätte? Wie wäre unsere aktuelle Situation dann?

Die Revolution auf Granit entstand durch die Unzufriedenheit der ukrainischen Studentenvereinigung mit dem Sieg der Kommunisten bei der Parlamentswahl im März 1990. Als Konsequenz der Proteste wurde der Vorsitzende des Ministerrates Witalij Massol von seinem Amt entlassen, der Militärdienst von Ukrainern auf das Gebiet der Ukraine beschränkt, eine neue Parlamentswahl mit mehreren Parteien abgehalten und der wohl wichtigste Punkt: durch das Belovezha Abkommen löste sich die Sowjetunion auf und die GUS entstand. Diese, auf die Revolution auf Granit folgende, Ereigniskette betraf nicht nur die Ukraine. Die Weltsicht von jedem, der davon hörte, wurde unweigerlich beeinflusst und Entscheidungen daher anders getroffen. Jedes noch so kleine Ereignis in Verbindung damit verursachte weitere kleinere und größere Geschehnisse, welche unsere heutige Gesellschaft herbeiführten. Oder eben nicht, wenn auch nur ein einziges Ereignis etwas abgewandelt stattgefunden hätte.

Denn angenommen diese Ereigniskette hätte nie eingesetzt, würden wir auf eine alternative Geschichte zurückblicken. Viele Politiker und einflussreiche Personen, wie Wiktor Janukowytsch, Petro Poroschenko oder Rinat Achmetow, hätten in einem anderen Verlauf nie Macht erlangt, während aktuell unbedeutende Personen die Geschichte beeinflusst hätten. Keine Orange Revolution, keine Revolution der Würde, keine Annexion der Krim, kein Krieg in der Ostukraine. Ohne die Revolution auf Granit hätten die Ukrainer nicht gezeigt, dass sie sich wehren können und die Überwachung und Unterdrückung wäre durch die moderne Technik so weit vorrangeschritten, dass ein Anfang sich als immer schwieriger und gefährlicher erwiesen hätte und sich aus Angst keine Menschenmassen wie bei den uns bekannten Demonstrationen beteiligt hätten. Oder es hätte später eine andere, viel blutigere Revolution gegeben, die auch zum Auseinanderbrechen von Russland und der Ukraine geführt hätte. Dennoch wären die ukrainische Kultur und Erinnerungen an beispielsweise den Holodomor weitere Jahrzehnte unterdrückt worden.

Unser restliches Europa wäre ebenfalls ein anderes. Polen oder das Baltikum wären angesichts der Bedrohung eines durch das intakte Bündnis weiterhin mächtigen Staates entweder keine Mitglieder der EU und NATO geworden oder es hätte bereits nach kurzer Zeit Gewalt und Eskalationen gegeben. Dadurch wäre Europa kein Kontinent der offenen Grenzen, sondern militärischer. Länder wie Deutschland hätten immer mehr in ihre Rüstung gesteckt und wären möglicherweise nie zu den heutigen, sehr reichen Industrienationen geworden. Dieses andere Deutschland wäre vielleicht noch nicht vereint und unsere Städte nicht die, die wir kennen. Auch wir wären kein Teil der Welt, denn in einem anderen Verlauf wären sich unsere Eltern nicht begegnet. Den Brexit hätte es auch nicht gegeben, ebenso andere Präsidenten in den USA, wodurch die Folgen der Revolution auf Granit auch Folgen für die ganze Welt sind, was erst rückblickend deutlich wurde. Denn ohne die Revolution auf Granit wäre die Machtverteilung anders und der Stellvertreterkrieg in Syrien hätte ein anderes Ende nehmen oder komplett vermieden werden können.