30 Jahre Wiedervereinigung und „Revolution auf Granit“

Sofiia Sehin

Nach der Ernennung von Michail Gorbatschow zum Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Sowjetunion im Jahr 1985, erhielten die sozioökonomischen Prozesse im sowjetischen Einfluss-bereich neue Impulse. Die politischen Richtungen „Glasnost“ und “Perestroika” waren der Beginn des Niedergangs der repressiven Politik der Partei und gaben einen unmittelbaren Anstoß für das Erwachen der Zivilgesellschaft, in der Ukraine sowie in Ostdeutschland.

Deutschland feiert jedes Jahr am 3. Oktober die Deutsche Wiedervereinigung, die 1990 beschlossen wurde und das Ende des 45-jährigen Bestehens zweier völlig unterschiedlicher Teile Deutschlands markierte. Diesem Ereignis ging der Fall der Berliner Mauer im November 1989 voraus, der eine unerwartete, aber logische Entwicklung der Ereignisse im Zusammenhang mit der damaligen allgemeinen Krise des sozialistischen Systems darstellte. Die Vereinigung von DDR und BRD wurde zu einer der wichtigsten Phasen in der Entwicklung des modernen Deutschlands, und dieser Prozess dauert, wie Angela Merkel selbst betont, bis heute an.

Nach den ersten Mehrparteienwahlen im März 1990, die von Helmut Kohls Partei, der Christlich-Demokratischen Union (CDU), gewonnen wurden, wurde der Grundstein für eine weitere deutsche Einigung gelegt. Die letzte Phase dieses Prozesses umfasste am 12. September 1990 die Unterzeichnung des Vertrags, der die Wiedervereinigung Deutschlands und die volle Souveränität über seine eigenen inneren und äußeren Angelegenheiten endgültig regelte. Der 3. Oktober wurde zum Feiertag für die Vereinigung der neuen Ostdeutschen Bundesländer mit Westdeutschland erklärt, und rund 100.000 Menschen nahmen an dieser Feier in Zentrum von Berlin vor dem Brandenburger Tor teil.

Die Ereignisse von 1989/90 in Deutschland waren ein wichtiger Schritt für die weitere Entwicklung der deutschen Nation und wurden durch die friedlichen Proteste der betroffenen Bürger ermöglicht. Und obwohl die Vereinigung Deutschlands für die damalige politische Elite ein unmögliches Szenario zu sein schien, hatte die Gesellschaft ihre eigenen Pläne für die Situation, weshalb die Wiedervereinigung Deutschlands zu einem irreversiblen Prozess wurde.

Verzweifelte Journalisten wie Siegbert Schefke und seine Kollegen riskierten ihre Freiheit und ihr Leben, indem sie heimlich ein Video des Leipziger Protestes am 9. Oktober 1989 vom Turm der Evangelisch-reformierten Kirche in Leipzig drehten. Daraufhin erfuhren noch mehr Menschen von den Protesten und der Geist der Solidarität eroberte die Straßen Ostdeutschlands. Siegbert Schefke selbst erinnert sich an diese Zeit: „Ich wollte die DDR-Führung nicht pieksen. Ich wollte die Regierung weghaben, die Mauer, den Stacheldraht“, und es gelang ihm, seinen Beitrag zur Deutschen Wiedervereinigung zu leisten.

„Revolution auf Granit“

Parallel zu den Prozessen in Deutschland, wurden auch in anderen Teilen Europas, wie zum Beispiel auf dem Oktoberplatz in Kyjiw, friedliche Proteste junger Menschen fortgesetzt, die als “Revolution auf Granit” in die Geschichte eingegangen sind. Am 2. Oktober 1990 stellten die Organisatoren der Aktion eine Reihe politischer Forderungen, darunter die vorzeitige Auflösung der Werchowna Rada, des Parlaments in der Ukraine, die Einberufung von Neuwahlen auf Mehrparteienbasis im Frühling 1991 und die Verhinderung eines neuen Vertrags mit der Sowjetunion. Die Teilnehmer der Aktion versuchten das Land zu erneuern und führten bereits vor der Revolution Gespräche im Volk, um die Menschen von der Notwendigkeit zu überzeugen, für eine freie Ukraine zu kämpfen. Die Tatsache, dass die Demonstranten nicht gewaltsam zerstreut wurden, sondern eine Kundgebung “abhalten” durften, war eher eine Ausnahme und diente als Inspiration für eine neue Generation der ukrainischen Gesellschaft, den Kampf um ihre eigene Freiheit fortzusetzen. Dies waren zweifellos mutige Aktivisten, die bewusst Risiken eingingen, um die Werte der Freiheit zu bewahren und eine weitere Entwicklung der kommunistischen totalitären Maschine zu verhindern. Obwohl nicht alle Forderungen der Teilnehmer erfüllt wurden, begann mit der „Revolution auf Granit“ eine neue Geschichte der unabhängigen Ukraine. Für die weitere demokratische Entwicklung der Ukraine wurde ein neuer Diskurs geschaffen, der bis heute andauert.

Schlussfolgerungen

30 Jahre sind seit der Vereinigung Deutschlands und der Geburt einer freien Ukraine vergangen. Dies sind Ereignisse, die für beide Nationen bedeutsam geworden sind. Beide Ereignisse waren Teil einer größeren Protestbewegung, die zu dieser Zeit existierte und dazu beitrug, die Prozesse des demokratischen Wandels voranzutreiben, die den weiteren Zerfall der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken katalysierten.

In Zeiten von populistischen Bewegungen und alternativen Fakten ist es wichtig, sich an die wegweisenden Ereignisse der Vergangenheit zu erinnern, da sie als Richtlinien für eine neue Generation von Bürgern dienen. Die Ereignisse von 1990 sind ein Beispiel für die erfolgreiche Mobilisierung der Gesellschaft und lehren uns, Schöpfer unserer eigenen Geschichte und keine passiven Beobachter zu sein.